Zur Erinnerungskultur in Battenberg.
Ein Vorwort

Erst sehr spät wagten einige Battenberger, sich an das dunkelste Kapitel ihrer Ortsgeschichte in neuerer Zeit zu erinnern und sich mit ihm kritisch zu beschäftigen. Für die allgemeinen Verhältnisse inbezug auf die Bewältigung der Nazi-Vergangenheit in Westdeutschland/BRD nicht außergewöhnlich. Man betrachte nur einmal die Behandlung der überlebenden Opfer und Täter des NS-Unrechtsstaates nach dem Krieg in der bundesdeutschen Gesellschaft! (s. Wiedergutmachungsverfahren für Juden, Sinti und politisch Verfolgte durch die staatlichen Behörden, die Justiz ! Dagegen die schrittweise Reaktivierung und Besoldung vieler Nazis).(1)

Warum haben nach 1933 die meisten jüdischen MitbürgerInnen ihren Heimatort verlassen? Entweder sind sie in größere Städte verzogen oder sind emigriert; vier Juden sind zwischen 1933 und 1937 in Battenberg gestorben, nur die Familie Stern ist hier geblieben.(2)   Wenn man die Erinnerungen des Juden Werner Neuburger nachliest, kann man sich leicht vorstellen, warum lang eingesessene und honorige Mitbürger nach der Machtübernahme der Nazis ihrer Stadt den Rücken kehrten.

Für die "Zigeuner" auf der Kröge hatten sie ohnehin nicht sehr viel übrig. In jeder Hinsicht waren sie für die Battenberger Außenseiter mit einem tradiert schlechten Ruf.

Mit den "Schwarzhörern" um Hermann Willstumpf (s. "Drei Battenberger") standen sich die meisten Einheimischen ebenfalls nicht gut: "Sie paßten einfach nicht in die enge Welt in Battenberg."

In Battenberg steht der Beginn der Erinnerungsarbeit im Zusammenhang mit den 2005 (zunächst in englischer Sprache) erschienenen Lebenserinnerungen des Battenbergers Werner Neuburger unter dem Titel "Auch dunkle Wolken ziehen vorüber" (herausgegeben vom Geschichtsverein Battenberg 2008). Im Jahre 2011 wurde das Schicksal der Familie Neuburger neben sechs anderen aus dem Oberen Edertal in einer Ausstellung des hiesigen Geschichtsvereins gewürdigt.(3)

Ein Vortrag des Marburger Diplom-Pädagogen Wolfram Schäfer über die Battenberger Kröge und die Sinti und Roma in Hessen im April 2007 löste tiefe Betroffenheit bei den Zuhörern aus, als der Referent die Auslöschung der Großfamilie Klein im 3.Reich beschrieb.(4)

Die (sicher unvollständige) Liste der Opfer der Battenbergerinnen und Battenberger beweist, daß in der kleinen Gemeinde im Oberen Edertal (1939: 1.222 Einwohner) zahlreiche Juden, eine große Sinti-Familie und andere (die dem Nazi-Regime aus verschiedenen Gründen "nicht paßten") nach 1939/40 aus ihrer Mitte verschwanden - und niemand hatte es angeblich bemerkt.

Im Rahmen eines Beitrags von K.-W.Dietz in den "Battenberger Geschichten", Bd.2 aus dem Jahre 2013 "Gedenktage und Denkmäler für die Kriegstoten in Battenberg und den Partnerstädten", findet man einen speziellen Aufsatz von Christel Kahler zum Ehrenmal auf dem Battenberger Friedhof mit biografischen Anmerkungen zu den Gefallenen des II. Weltkriegs.(5)

Dietz kommentiert diese Bemerkungen seiner Mitbürgerin aus dem Jahre 2012:
"Die Anmerkungen von Christel Kahler holen die Menschen hinter den Namen etwas aus ihrer Anonymität ... hinter jedem Namen steht eine ganze Geschichte von Trauer, Leid und ungelebtem Leben."

An anderer Stelle lesen wir:
"Leider fehlen die Namen der getöteten ehemaligen Mitbürger jüdischen Glaubens, die Namen weiterer Mitbürger aus Roma-Familien (6) und die Namen der ehemaligen Mitbürger, die wegen ihrer politischen Überzeugung den Tod fanden, auf der Tafel (dieses Ehrenmals). Denn sie sind ebenfalls 'Opfer der rassischen und politischen Verfolgung', wie es anonym auf der Gedenktafel steht." (7)

Genau darum wollte sich der Frankenberger A.Böttcher bemühen. Im Dezember 2014 beantragte B. beim Magistrat der Stadt Battenberg, den "Opfern der rassischen und politischen Verfolgung" (man sollte unbedingt ergänzen: durch die NS-Diktatur 1933-1945 !) endlich in würdiger Form einen Namen zu geben.

Obgleich die Initiative B.s von den Stadtvätern als wichtiger Beitrag "zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus als dunkles Kapitel der Battenberger Geschichte" gelobt wurde, stieß dieser Vorschlag letztlich auf Ablehnung. Unter Verweis auf die oben genannte Gedenktafel auf dem Battenberger Friedhof neben den Namenslisten der Gefallenen der Kriege seit 1870/71 sei dem Wunsch des Antragstellers bereits Genüge getan.

Böttcher (und andere) sind mit dieser letztlich unverbindlichen Formel auf der betreffenden Tafel nicht zufrieden. Er ist weiterhin bestrebt, sein Vorhaben zu realisieren, den Männern und Frauen, die auf unterschiedliche Weise Opfer des Nazi-Regimes geworden sind, für die es nirgends einen Grabstein oder eine Gedenktafel gibt, ihr individuelles Antlitz zurückzugeben.

Ein Briefwechsel mit dem Battenberger Bürgermeister Ch.Klein zog sich über mehrere Monate hin; immer wieder wurden Vorwände laut, so daß sich B. entschloß, sein Anliegen in Form dieses Gedenkportals im Internet durchzusetzen.

Der verantwortliche Autor dieses Gedenkportals hofft auf Resonanz in nah und fern. Er möchte sein Publikum dazu einladen, vorhandenes Wissen mit Fotos, Erinnerungen zu dem hier ausgebreiteten Material mitzuteilen und somit zu helfen, unsere Dokumentation zu ergänzen (vielleicht auch zu korrigieren).

  1. s. z.B. "Tabus der bundesdeutschen Geschichte" (Hg. E.Spoo u. A.Klönne).Hannover 2007 > zurück z.Text (1)

  2. s. Anschriftenliste vom Einwohnermeldeamt Battenberg (5/2016 übers.) > zurück z.Text (2)

  3. Die Ausstellungstafeln sind im Internet zu finden unter www.geschichtsverein-battenberg. > zurück z.Text (3)

  4. s. HNA (Hess.-Nieders. Allgemeine) vom 3.5.2007 (Artikel v. K.-H.Völker) > zurück z.Text (4)

  5. in: Battenberger Geschichten Bd.2 (2013), 119ff. > zurück z.Text (5)

  6. korrekter: Sinti-Familien > zurück z.Text (6)

  7. s. Anm.1, S.146 > zurück z.Text (7)