Die Sinti-Familie Klein

(Battenberger Kröge)

"Tiefe Betroffenheit herrschte (bei den Zuhörern) am Ende des Vortrages des Diplom-Pädagogen Wolfram Schäfer aus Marburg am 28. April 2007 (1), als der Referent die Auslöschung der Familie Klein unter der Nazi-Herrschaft beschrieb: Er zeigte Bilder von einer mobilen 'rassenbiologischen Forschungsgruppe' (2), der Mitglieder der Familie Klein zur Vermessung der Kopfformen zwangsvorgeführt wurden." (3)

Am 3. April 1943 (in anderen Quellen: 23.3.1943) sind Anna Klein (die "Zigeuner-Anna") mit ihren Söhnen (soweit sie sich auf der Battenberger Kröge aufhielten) verhaftet und über Kassel in das "Zigeunerlager" des KZ Auschwitz-Birkenau deportiert worden, um dort bis auf wenige Ausnahmen ermordet zu werden. Das gesamte Vermögen der Kleins wurde als "volks- und staatsfeindlich" eingezogen (4). Nach der Auflösung des Zigeunerlagers Auschwitz-Birkenau Anfang 1944 kam Anna Klein am 3.8.1944 in das KZ Buchenwald. Dies ist die letzte Spur, die in den Unterlagen des Internationalen Suchdienstes Bad Arolsen (ITS) von ihr zu finden ist.

Jahrzehntelang nach 1945 nahm man in Battenberg keinerlei Notiz von dem Schicksal dieser "Zigeuner"(5)-Familie, die ja viele Jahre am Rande unseres Bergstädtchens gelebt hatte. Wie sich herausstellte, konnten sich doch noch einige Battenberger an die Kleins von der Kröge erinnern: Zum Beispiel Käthe Bienhaus (auf der Kröge geboren und dort aufgewachsen, inzwischen verstorben). Sie wurde von W. Schäfer im Jahre 1982 interviewt. Oder: Pfarrer Bechthold und Christel Kahler (6) - um nur jene Personen zu nennen, von denen Bekundungen vorliegen.

Der Verf. selbst stieß im Zusammenhang mit seinen Recherchen zu Battenberger jüdischen und politischen Opfern des NS-Regimes auf diese Sinti-Familie. Insbesondere der Battenberger Geschichtsverein, namentlich sein Vorsitzender Matthias Seim, half ihm dabei, wichtige Unterlagen für seine Arbeit zu erlangen.

Als sehr produktiv erwies sich für den Verf. der Kontakt zum Erziehungswissenschaftlichen Institut der Philipps-Universität Marburg, das den Nachlaß des 2012 verstorbenen Diplom-Pädagogen Wolfram Schäfer verwaltet. Der Verfasser konnte bisher aus diesem Nachlaß wichtige Dokumente zu seinem Arbeitsthema entnehmen. (6)

←Bild zum Vergrößern anklicken (Kröge, aus:HNA 6.2.2015)
 
 

Teilweise widersprüchliche Angaben in verschiedenen Quellen deuten auf komplizierte Familienverhältnisse hin und erschweren die Nachforschungen. Daher ist es möglich, dass die Ausführungen in diesem Text und auch in der Namenliste der Opfer stellenweise noch korrigiert werden müssen. Hinweise und Informationen hierzu sind sehr willkommen und werden dankbar aufgenommen.

Die Händlerin Anna (Ludmila) Klein - die "Zigeuner-Anna" - war mehrmals verheiratet (sie soll 13 Kinder gehabt haben).

• Ihr 1. Ehemann war Heinrich Klein. Aus einem Gespräch W. Schäfers mit Anneliese Hennert, geborene Klein, im November 1983 erfährt man, daß Heinrich Klein ein Bruder ihres Vaters Christoph Willi Klein (1900-53) war. (7)
   
• Aus dem Einziehungsbescheid des Regierungspräsidenten Kassel vom 31.5.1943 geht hervor, daß "das gesamte Vermögen des Zigeuners Georg, genannt Karl Klein, geboren am 27.4.1906 in Gießen und dessen Ehefrau Anna geb. Weiss, zuletzt wohnhaft in Kröge bei Battenberg, zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen" worden ist.
  >> Kopie des Bescheids
   
• Ihre Kinder Johann, Peter, Heinrich, Gustav, Sebastian (Bastian), Theodor, Willy Haligo sind im KZ Auschwitz umgekommen oder gelten als verschollen (s. Einzelliste der NS-Opfer: Sinti).
  Allein über die Ermordung des Klein-Sohnes Heinrich wissen wir Näheres:
  Heinrich Klein starb am 22.5.1943 im Vernichtungslager Auschwitz. Offizielle Todesursache: "Lungenentzündung" (festgestellt von Lagerarzt Bruno Kitt).
  Kitt, SS-Hauptsturmführer, praktizierte ab Juni 1941 als Lagerarzt im KZ Auschwitz. Unter anderem selektierte er kranke weibliche Häftlinge und schickte sie in die Gaskammer. Nach der Evakuierung des Lagers im Januar 1945 war Kitt im KZ Neuengamme Lagerarzt. Nach Kriegsende wurde er von der britischen Armee verhaftet und angeklagt. Ein Gericht verurteilte ihn zum Tode. Kitt wurde am 8.10.1946 in Hameln hingerichtet. (Nach: Waldeckische Landeszeitung von 28.6.2010)

 

Die überlebenden Söhne der Anna Klein

• Klein, Georg-Kaspar, geb. 22.12.1929 in Oberasphe, wurde von der US-Army aus dem KZ Buchenwald befreit. Am 25.6.1945 hat er sich (laut Einwohnermeldeamt Battenberg) in Battenberg wieder angemeldet. Nach Gründung einer Familie in Battenberg bzw. Allendorf/E. (aus der fünf Kinder hervorgehen) ist er nach Breitenbach (Lkrs. Hersfeld-Rotenburg) verzogen, wo er 2008 verstorben ist (Auskunft: Tochter Sylvana Klein, telef. am 8.5.2017).
   
• Von den Zwillingen Ludwig und Wilhelm Klein (geb. 7.8.1927 in Eifa) wissen wir zuverlässig, daß sie nach 1945 nach Battenberg zurückgekommen sind; sie sind beim dortigen Einwohnermeldeamt registriert und sind 1950 bzw. 1951 verzogen (Ludwig nach Bonn, Willi nach Hamm/Westfalen). Auch ihr Bruder Julius Weiss sowie ein ehemaliger Klassenkamerad der Zwillinge bestätigen dies.
  
  Tatsache ist, daß sie am 23.3.1943 nach Auschwitz deportiert worden sind(10). Im Gedenkbuch "Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau" 1993 sind diese Zwillinge im Hauptbuch des Zigeunerlagers unter Nr. 5359 und 5360 aufgeführt. Sie sind am 27.3.1943 ins Lager gekommen. Wie ihre ermordeten Brüder Johann, Peter, Heinrich und Willy werden sie unter dem "Bemerkungsdatum" unter dem Datum 12.4.43 registriert. Beide sind allerdings in besagter Quelle nicht ausdrücklich als gestorben ("Gest.") im "Bemerkungstext" registriert(11).
   
• Dank eines längeren Gesprächs, das W. Schäfer (Uni Marburg) mit Julius Weiss am 6.5.1982 in Battenberg mit ihm geführt hat, wissen wir heute von Julius Weiss am meisten(12).
  
  Julius Weiss wurde am 7.9.1918 in Maastricht (Niederlande) geboren. Er besuchte regelmäßig die Volksschule in Battenberg und wurde hier auch konfirmiert. Von Beruf war er Maschinenschlosser. Nach seinem Wehrdienst (u.a. in Marburg) wurde er zur Wehrmacht einberufen (zuletzt Unteroffizier). Da er als "Zigeuner-Mischling" galt, wurde er 1941 entlassen und für 4 1/2 Jahre ins KZ Dachau bzw. Oranienburg eingesperrt. Er überlebte seine Inhaftierung und meldete sich nach 1945 in Battenberg zurück. Dort wohnte er zunächst in der Hauptstraße 49, zuletzt am Herrenacker 7. Beim Einwohnermeldeamt wurde er als Altwarenhändler geführt. Seit 1948 war er mit einer deutschen Frau verheiratet. Seine Frau brachte drei, er zwei Kinder in diese Ehe; zusammen hatten sie noch sechs Kinder(13). Nach dem Tode seiner Frau zog er nach Hamm/Westfalen, wo er am 13.4.2006 verstarb. (Laut Einwohnermelderegister der Stadt Hamm. Nachricht vom 5.10.2016.)
  
  Bemerkenswert aus dem ausführlichen Gespräch mit W. Schäfer ist eine Passage, in der Weiss auf den Verhaftungsgrund seiner Familie Bezug nimmt:
  "Daß die alle ins KZ gekommen sind. Sind die alle selber Schuld dran..." Ein Gießener Onkel (d.i. Ferdinand Klein aus Ilbenstadt bei Gießen gebürtig) habe sich an das Rasseninstitut in Berlin gewandt. "Die wollten arisch erklärt werden... Und sie waren nämlich die ersten, die ins Gras beißen mussten..."
  
  Auf diesen Vorgang ging auch W. Schäfer im Rahmen seines Vortrags beim Geschichtsverein Battenberg im Jahre 2007 ein: "Er zeigte Bilder von einer mobilen 'rassenhygienischen Forschungsgruppe', der Mitglieder der Familie Klein zur Vermessung der Kopfformen zwangsvorgeführt wurden."(14)
  Mit anderen Worten:
  Hier wurde von der RHF (= Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle unter Robert Ritter) der "wissenschaftliche Nachweis" erbracht, daß 90% der Zigeuner Mischlinge seien, der "Nachweis" von der "biologischen Bedingtheit der Asozialität" bei ca. 30.000 Zigeunern geführt, die im Deutschen Reich gelebt haben. Letztlich haben auch diese "wissenschaftlichen" Untersuchungen die Maßnahmen zur "Gesamtlösung" der "Zigeuner-Frage" vorbereitet. Wie diese "Lösung" ausgesehen hat, können wir am Schicksal der Sinti-Familie Klein aus Battenberg-Kröge erkennen.
   
• Adolf Weiss-Klein ist der älteste Bruder von Julius Weiss. Er soll nach Meinung von Käthe Bienhaus am 12.4.1944 an der Front gefallen sein. In der Tat wurde er (lt. Einwohnermeldeamt Battenberg) zur deutschen Wehrmacht am 9.1.1939 einberufen. Doch (wie alle "Zigeunermischlinge") muß er während des Krieges wie sein Bruder aus der Armee entlassen worden sein. Er ist jedoch im 3. Reich nicht umgekommen. Denn er hat sich - wohnhaft Hauptstraße 49 - aus Battenberg am 27.7.1950 nach Lüdenscheid abgemeldet. Dorthin folgte ihm am 17.1.1951 seine Familie nach. (Er war mit einer Frau aus Gladbeck verheiratet, mit der er zwei Töchter und einen Sohn hatte. (Alle Angaben: Einwohnermeldeamt Battenberg)
  Adolf Klein muß nach Entlassung aus der deutschen Wehrmacht - wie sein Bruder Julius - in ein KZ ( und zwar nach Auschwitz ) eingeliefert worden sein, denn es hat sich die Häftlings-Personal-Karte (Nr.42977) von ihm erhalten.(15)