Einleitung

Zu Verständnis und Einordnung dieses regionalbezogenen Exkurses zum Stichwort "Rundfunkverbrechen" im Dritten Reich bedarf es einiger Vorbemerkungen. Unsere Geschichte von drei Battenberger Bürgern liegt ca. 80 Jahre zurück. So, mancher Sachverhalt dürfte daher heute der Leserin/dem Leser nicht unbedingt mehr geläufig sein. Drei Fragen sollen beantwortet werden:

- Wieso beging man ein Verbrechen, wenn man sogenannte "Feindsender" in seinem Radio hörte?

- Warum taten das diese drei Battenberger und wie können wir heute ihr Handeln einordnen und bewerten?

- Warum unternehmen wir nochmals einen Blick zurück in diese Episode der Battenberger Geschichte, nachdem die HNA im Jahr 2007 schon einmal darüber berichtete? (Siehe Presse)

Die Nazis haben neben Film und Presse besonders den Rundfunk nach 1933 in ihre Dienste gestellt, mit dem Ziel einer vollkommenen Monopolisierung des politischen lnformationsflusses. Das vorhandene Rundfunksystem (seit 1923 gab es in Deutschland den Rundfunk) wurde "gleichgeschaltet". Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs konnten die Bürger nur noch das Programm des "Großdeutschen Rundfunks" empfangen. Es gab damals (1939) über 10 Mio. Rundfunkgeräte (bei 69,3 Mio. Einwohnern), überwiegend "Volksempfänger" (im Volksmund "Goebbels-Schnauze" genannt). Mit Beginn des Krieges wurde durch eine Verordnung das Hören ausländischer Sender verboten und unter Strafe gestellt. Die Verbreitung von deren Nachrichten konnte sogar die Todesstrafe nach sich ziehen. Solche sogenannten "Feindsender" waren vor allem die britische BBC und Radio Moskau.

Das "Schwarzhören" nahm gegen Kriegsende dennoch an Umfang zu. Der propagandistischen Berichterstattung und den manipulierten Erfolgsmeldungen von den Fronten durch den "Großdeutschen Rundfunk" standen die Informationen der empfangbaren ausländischen Sender entgegen. Umso besorgter zeigte sich das NS-Regime: Allein 1943 sollen 3.450 Personen verurteilt worden sei, weil sie einen "Feindsender" eingestellt hatten. (Siehe Konrad DUSSEL, Deutsche Rundfunkgeschichte, 2. Auf. Konstanz 2004, S. 109)

Für die Bewertung der "Verbrechen" der drei Battenberger sollten wir uns das politische Umfeld in Battenberg und Umgebung am Ende der Weimarer Republik bzw. am Anfang des Dritten Reiches klarmachen (Siehe auch den Anhang). Wir sollten gleichfalls bedenken, unter welchen Bedingungen in einem totalitären faschistischen Regime wie dem NS-Staat Abweichungen vom vorgegebenen Kurs möglich waren. Es gehörte sicher viel Zivilcourage dazu, in dieser Zeit die Balance in seinen politischen und moralischen Grundüberzeugungen zu halten - einer Zeit, die bei vielen Deutschen nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit (1918-1933) aus unterschiedlichen Gründen Hoffnungen, ja sogar begeisterte Zustimmung auslöste. Allgemein verkannte man darüber den wirklichen Charakter des NS-Regimes. Nur Wenige besaßen eine klare Einsicht in die tatsächliche Natur der Vorgänge um den 30. Januar 1933 und den folgenden Jahren.

Es ist nicht so ganz einfach, die zahlreichen Facetten zu unterscheiden, die sich zwischen Anpassung und Widerstehen des Einzelnen im Dritten Reich eröffnen konnten. Eine legale Opposition gab es nicht (Siehe das "Ermächtigungsgesetz" vom 23.3.1933). Jede Form des Widerstands, ob aktiv (z..B. Attentat, Sabotage) oder passiv (z.B. "schweigende Opposition", Haltung der Abstinenz, Bekleiden von Ämtern oder anderen Funktionen des NS-Staates, um Schlimmeres zu verhindern), wurde durch die Unterdrückungsorgane (Gestapo, Spitzelsystem, Polizei etc.) verfolgt und geahndet. Niemand war da sicher. Dennoch hat es Widerstand gegen den Nazi-Staat in vielfältigen Formen gegeben. Die Bilanzen beweisen das nachdrücklich. (Siehe etwa Günter WEISENBORN, der lautlose Aufstand, 4. Auf. Frankfurt/Main 1974)

Warum wird nun die Geschichte der drei Battenberger "Schwarzhörer" wieder aufgegriffen? Sollten wir nicht mit der Bewältigung unserer Vergangenheit endgültig Schluss machen?

Es ist die Frage, ob Viele unter uns die Vergangenheit, die hier gemeint ist, in ihrem Leben je detailliert genug zur Kenntnis genommen haben, um sie tatsächlich bewältigen zu können. Die Nachkriegsgenerationen (zumindest im Westteil Deutschlands) können sich vermutlich nur schwer vorstellen, was es für jene Menschen bedeutete, in der brauen Diktatur gegen den Strom zu schwimmen und - aus welchen persönlichen oder anderen Motiven auch immer - natürlichste Menschenrechte zu reklamieren; und vor welchen persönlichen Entscheidungen man stand, wenn man in Kenntnis der Konsequenzen durch die Gewaltinstrumente des NS-Staates sich gegen das "Mitmachen" entschied. Man könnte heute noch so manchen Bürger befragen, der bis 1990 in der DDR gelebt hat, auf welche Weise er sich dort behauptet hat (siehe etwa Roman GRAFE (Hg), Anpassen oder Widerstehen in der DDR, München 2009).

Indem wir uns mit einer derartigen Episode wie die der drei einfachen Bürger aus dem Bergstädtchen Battenberg beschäftigen, können wir vielleicht Anstöße erhalten, uns für die Umstände unserer jüngeren Geschichte näher zu interessieren und uns bewusst zu machen, dass es nicht immer so leicht war, in einer staatlichen Ordnung wie der heutigen zu leben, in der all jene Menschen- und Grundrechte garantiert sind, für die im NS-Terrorsystem Viele Freiheit und Leben eingesetzt haben. Erst wenn wir - auch über diese kleine Episode hinaus - den Mut und die Zivilcourage von Hermann Willstumpf und seinen Genossen zur Kenntnis nehmen, können wir die Opfer der Männer und Frauen des deutschen Widerstandes erkennen und gebührend würdigen.

Arndt Böttcher Frankenberg, am 4. September 2014